Sonntag, 21. Februar 2010

Essay: Kann Deutschland sich den Sozialstaat noch leisten?

Hier ein von mir verfasstes Essay zur obenstehenden Fragestellung, geschrieben habe ich es für mein Seminarfach, da wir lernen sollte, wie man ein Essay verfasst.
Kann Deutschland sich den Sozialstaat noch leisten?

Vor allem in Zeiten einer weltweiten Wirtschaftskrise wird auf der Suche nach Sparmaßnahmen immer wieder gerne der Sozialstaat angeführt, an dem man sparen müsse. So sieht Herr Westerwelle in der Situation der Hartz-IV-Empfänger von heute „spätrömische Dekadenz", an denen der deutsche Staat letztlich zugrunde gehen werde. Die Sinnhaftigkeit dieser Aussage, die darüber hinaus von einem falschen Geschichtsbild ausgeht, soll aber nicht Gegenstand dieses Essays sein. Dennoch ergibt sich die Frage, ob Deutschland sich den Sozialstaat in seiner heutigen Form noch leisten kann.
Betrachtet man die Ausgaben des Staatshaushalts, so sind die Sozialausgaben schon seit Jahren neben den Zinsen für die Staatsschulden der höchste Ausgabenposten des Staates. In Zeiten einer weltweiten Finanzkrise und der größten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik werden diese Zahlen in den nächsten Jahren immer weiter steigen. Aus finanzpolitischer Sicht ist Deutschland also längst nicht mehr in der Lage, sich einen Sozialstaat in der heutigen Form zu leisten. Der deutsche Staat ist aber selber schuld an dieser Misere. Anstatt in Bildung zu investieren, sind die Sozialausgaben immer weiter erhöht worden, während die Bildungsausgaben seit 1995 sogar um 5% zurückgegangen sind. Lagen die Sozialausgaben pro Kopf 1960 noch bei rund 2000€, stiegen sie bis 2007 auf rund 8500€ pro Kopf. In derselben Zeit ist, vor allem verursacht durch die Sozialausgaben, die Staatsverschuldung um mehr als 30% gestiegen. Für Bildung wurden im gleichen Zeitraum durchschnittlich 1000€ pro Kopf ausgegeben.
Die ursprüngliche Theorie der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhardt sah allerdings auch längst keinen Sozialstaat mit den heutigen Ausmaßen vor. Vielmehr waren Sozialleistungen als Übergangsleistungen vorgesehen, nicht als Langzeitleistungen. Doch auch hier liegt das Problem bei der Politik, statt rechtzeitig zu reagieren und vermehrt in Bildung zu investieren, um Vorsorge zu betreiben bspw. wurde die Höhe der Rentenzahlungen garantiert. So ist es auch ein Ergebnis dieser verfehlten Politik, dass 2003 bereits 2/5 der Bevölkerung von Sozialleistungen abhängig waren. Inzwischen ist der Typus des Langzeitarbeitslosen aber längst keine Besonderheit mehr.
Ein Problem der Höhe der heutigen Sozialleistungen, bzw. der Steuerpolitik ist aber der mangelnde Anreiz zu arbeiten. Geringqualifizierte haben kaum die Möglichkeit Einkünfte zu erzielen, die über den heutigen Regelsätzen liegen, Abhilfe könnten hier Mindestlöhne schaffen.
Für den Staat bildet sich so ein Teufelskreis, die Finanzierung der Sozialleistungen ist gekoppelt an den Faktor Arbeit, bedingt also hohe Lohnnebenkosten, die durch sinkende Arbeitnehmerzahlen und geringes Lohnniveau aber zusammenschrumpfen. Um dieses Defizit aufzufangen, müssen also die Lohnnebenkosten wiederrum erhöht werden, wodurch sich die Arbeit für den Einzelnen weniger lohnt oder der Staat nimmt eine höhere Staatsverschuldung in Kauf. In den letzten Jahren ist in Deutschland beides geschehen.
Der Sozialstaat muss also inzwischen für Gerechtigkeit sorgen, um die verfehlte Politik der Wirtschaftswunderzeit der 50er-Jahre auszugleichen. Genau das ist aber auch die Aufgabe eines Sozialstaates in einer Demokratie.
Reformvorschläge könnten da bspw. die Erschließung neuer Einnahmequellen sein, mit der gleichzeitigen Erhaltung der derzeitigen Sozialleistungen, oder aber eine erneute Kürzung dieser. Solche Vorschläge sind aber nicht nur stark von der Parteiideologie abhängig, sondern würden das Problem des Staatsdefizits durch Sozialleistungen nur zeitlich verschieben. Das Kernproblem der sozialen Komponente der Marktwirtschaft ist vielmehr, dass sie vor allem auf Nachsorge beruht.
Hier sollte man also ansetzen, es kann nicht Aufgabe der Politik sein, sich um gescheiterte Existenzen zu sorgen, vielmehr sollte sie Vorsorgemaßnahmen schaffen, damit die langfristige Auszahlung von Transferleistungen gar nicht erst notwendig wird. Wie kann man einen solchen Politik- und Gesellschaftswandel erreichen? Vermutlich gar nicht. Denn solche Reformen wären derartig tiefgreifend und unpopulär, dass sie während einer Legislaturperiode nicht umgesetzt werden könnten. Will man mehr Vorsorge schaffen, sollte man nicht nur das Bildungs-, sondern auch das Steuer- und Gesundheitssystem von Grund auf reformieren.
Denn nur wenn es gelingt, den Bildungsstandard insgesamt anzuheben und neue Anreize für Arbeit zu schaffen, wird der Sozialstaat fortbestehen können, in seiner derzeitigen Form ist er nicht mehr zu finanzieren.
Um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Nein, Deutschland kann sich den Sozialstaat in seiner jetzigen Form nicht leisten. Deutschland ist aber gezwungen sich einen Sozialstaat zu leisten, denn ohne die Mechanismen des Sozialstaats könnte unsere Gesellschaft derzeit nicht bestehen. Es muss langfristig eine Alternative gefunden werden, da sich die Problematik der Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen durch den demographischen Wandel und die Globalisierung noch verschärfen wird. Reformen sind also meiner Meinung nach unausweichlich, die Ausgestaltung dieser liegt aber bei der Politik und wird sich deshalb nach der Parteiideologie der jeweils regierenden Partei richten. Es bleibt also fraglich, ob der Sozialstaat gerettet werden kann. Wenn keine Lösung gefunden wird, wird dem Staat letztlich nicht anderes als die Insolvenz übrig bleiben, wie jedem überschuldeten Bürger auch.

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